Nachhaltige Jobs nur als Feigenblatt
Hans Bin-Jung ist mittlerweile 57 Jahre jung und arbeitet seit gut 29 Jahren bei einer Firma der Maschinenindustrie als CAD-Programmierer. Die Firma gibt sich selber als eine soziale, nachhaltige Arbeitgeberin mit fairen Arbeitsbedingungen.
Hans war bis vor einem Jahr auch gewähltes Mitglied der Arbeitnehmervertretung und kümmerte sich lange Zeit um die Sorgen der Mitarbeitenden. Nun plagen Hans eigene persönliche Sorgen! Leider fällt er – wie auch einige seiner Kolleginnen und Kollegen älteren Semesters – beim neuen Geschäftsführer in Ungnade. Trotz stabiler Gewinne will der auf Sparflamme setzen und ältere „teure“ Mitarbeitende durch junge Arbeitskräfte ersetzen. Das Unternehmen beabsichtigt, auf die Schnelle auch die Stelle von Hans zu kündigen. Zudem möchte der Arbeitgeber auf der Kündigungsfrist von 3 Monaten gemäss Arbeitsvertrag bestehen. Hans kann es nicht fassen, da er der Überzeugung ist, als dienstälterer Mitarbeiter mit seinem fundierten Wissen noch einige Zeit wertvolle Dienste leisten und seinen jungen Nachfolger mit seinem Know-how aufbauen zu können. Zudem erwartet er von einem nachhaltigen, fürsorglichen Arbeitgeber, dass er seine Arbeitnehmenden nicht so schnell und ohne Prüfung weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten auf die Strasse stellt.
Hans fragt sich, ob das Vorgehen des Vorgesetzten korrekt ist.
Fakt ist heute, dass für ältere Mitarbeitende eine Kündigung besonders niederschmetternd ist, weil ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt geringer sind. Dies verraten uns die statistischen Zahlen, gemäss welchen die Anzahl der arbeitslosen 50 bis 64-Jährigen stetig wächst. Verschärft wird die Problematik durch Langzeitarbeitslosigkeit, welche besonders bei über 55-jährigen Arbeitslosen festzustellen ist.
Kurzsichtigkeit des Arbeitgebers
Das Argument des Geschäftsführers, ältere Mitarbeitende seien teurer, mag zwar auf den ersten Blick vielleicht stimmen, ist allerdings bei näherer Betrachtungsweise nicht nachvollziehbar. Denn diese Angestellten verfügen über grössere Berufserfahrung, kennen das Unternehmen als langjährige Mitarbeiter bestens und haben auch oft ein höheres Qualitätsbewusstsein. Studien der Arbeitsmedizin belegen, dass bei älteren Mitarbeitenden eine Zunahme bestimmter kognitiver Kompetenzen festzustellen ist (siehe dazu Rico S. Winkels, Demografischer Wandel: Herausforderungen und Chancen für Personalentwicklung, Münster 2007).
Vor diesem Hintergrund und weil Hans ein sehr wertvoller Mitarbeiter ist, ist die Absicht des Arbeitgebers zu hinterfragen.
Rechtliche Situation – Kündigungsschutz von älteren Mitarbeitenden
Das Obligationenrecht gewährt mit seinem Art. 336 Abs. 1 lit. a einen Schutz gegen missbräuchliche Kündigungen, welche u.a. aufgrund des Alters ohne einen Rechtsfertigungsgrund ausgesprochen werden. Wenn das Alter das Motiv der Kündigung war, kann sich der betroffene Mitarbeitende klageweise zur Wehr setzen und der Arbeitgeber hätte im Verurteilungsfall eine Entschädigung von maximal 6 Monatslöhnen zu bezahlen. Vorausgesetzt wird, dass der Mitarbeitende schon während der Kündigungsfrist eine sog. Einsprache erhoben hat.
Doch selbst eine Pönale von 6 Monaten schafft in einem solchen Fall keine eigentliche Befriedigung, ist doch der mit einer solchen Kündigung drohende Schaden um ein Vielfaches höher als die gesetzlichen Ausgleichszahlungen gemäss Schweizer Recht.
Das Bundesgericht hat in seinen Entscheiden mehrmals bestätigt, dass Arbeitgeber zu einer schonenden Ausübung des Kündigungsrechts angehalten sind und im Zusammenhang mit den Alterskündigungen besonders hohe Fürsorgepflichten wahrzunehmen haben. Ältere Mitarbeitende gehören gemäss Bundesgericht zu einer „besonderen Arbeitnehmerkategorie“, dies nicht zuletzt wegen der gravierenden Auswirkungen, welche eine Kündigung mit sich bringen würde (man denke an die Langzeitarbeitslosigkeit, Persönlichkeitsverletzung, Armutsgefahr etc.). Gemäss den Gerichten sind Arbeitgeber in der Pflicht, eine sozialverträglichere Lösung als die Kündigung zu suchen. Sie sind gehalten, den Mitarbeitenden ein besonderes rechtliches Gehör sowie eine „zweite Chance“ zu gewähren. Hans hat insbesondere Anspruch auf rechtzeitige Information und Anhörung. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, welche eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit ihm ermöglichen.
Ältere Mitarbeitende im GAV MEM
Wenn die Firma Mitglied des ASM ist, hat sie im Weiteren den GAV einzuhalten. Der neue Art. 25.5 (gültig ab 1. Juli 2018) widmet einen ganzen Artikel dem Schutz von älteren Mitarbeitenden. Gemäss Art. 25.5 Abs. 3 ist der Arbeitgeber verpflichtet, ältere und langjährige Mitarbeitende sozial verantwortlich zu behandeln. Das verlangt insbesondere bei Kündigungen eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Deshalb findet bei einer Kündigungsabsicht von Mitarbeitenden ab Alter 55 rechtzeitig und zwingend ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung oder der nächsthöheren vorgesetzten Stelle und dem betroffenen Mitarbeitenden statt, an welchem dieser informiert und angehört wird sowie gemeinsam nach Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gesucht wird. Erst danach wird über eine allfällige Kündigung entschieden.
Im Weiteren erhalten Mitarbeitende ab dem 55. Altersjahr und mit gleichzeitig mindestens 10 Dienstjahren bei einer allfälligen Kündigung einen Monat zusätzliche Kündigungsfrist zur normalen (vorliegend vertraglichen) Kündigungsfrist (Art. 25.5 Abs. 4 GAV).
Einen Kündigungsschutz nach Art. 38.5 GAV MEM kann Hans nicht mehr beanspruchen, da er das Amt der Arbeitnehmervertretung nicht mehr ausübt und dieser Schutz mit demjenigen gemäss Art. 25.5 Abs 4 nicht kumulierbar ist.
Fazit
Aufgrund der obigen Darstellungen ist das Vorgehen des Arbeitgebers nicht korrekt und verletzt oben erwähnte Bestimmungen. Die Angestellten Schweiz können die Mitglieder in solchen Situationen unterstützten.
Korab Macula, Rechtskonsulent Angestellte Schweiz